Registriere dich jetzt.

Der Mensch ist gut – Prof. Braungart im Gespräch mit Veit Lindau – Folge 149

Beim folgenden Text handelt es sich um automatisch generierte Zeilen des von Veit Lindau eingesprochenen Podcasts. Diese wurden mit Hilfe von künstlicher Intelligenz korrigiert, sodass sie weitgehend korrekt sind. Für etwaige Fehler entschuldigen wir uns. Den Originalpodcast kannst du über die untere Player-Leiste hören.

Der Mensch ist gut – Prof. Braungart im Gespräch mit Veit Lindau – Folge 149

Beim folgenden Text handelt es sich um automatisch generierte Zeilen des von Veit Lindau eingesprochenen Podcasts. Diese wurden mit Hilfe von künstlicher Intelligenz korrigiert, sodass sie weitgehend korrekt sind. Für etwaige Fehler entschuldigen wir uns.

Hey Lieben, ich wünsche euch einen wundervollen Tag. Hier ist Veit mit einer weiteren Episode in meinem Podcast „Seelengevögelt“ für die Rebellen des Geistes. In diesen wilden, stürmischen Zeiten brauchen wir mehr denn je Hoffnung. Hoffnung in Form von lichtvollen Visionen, von neuen Möglichkeiten am Horizont der Menschheit. Deswegen freue ich mich besonders, euch heute einen sehr, sehr inspirierenden Interviewgast vorzustellen: Professor Braungart.

Vielleicht ist er dir bekannt als der Erfinder der sogenannten Cradle-to-Cradle-Philosophie, doch in diesem Gespräch geht es um so viel mehr. Ich habe lange nicht mehr ein so inspirierendes Gespräch geführt.

Es geht um die Frage, sind wir gut? Haben wir Menschen bereits unseren Platz in diesem Universum voll eingenommen? Und wer könnten wir sein für uns und unsere Umwelt, wenn wir beginnen würden, uns zu vertrauen und uns zu lieben?

Ich wünsche dir spannende Erkenntnisse und wertvolle Ideen zur Umsetzung. Dein Veit. Herr Professor, erst mal vielen, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Meine erste Frage in diesen wilden Zeiten: Wie geht es Ihnen denn jetzt gerade damit?

Für mich ist es ja eine ziemlich gute Zeit, weil ich viele Dinge, die lange liegen geblieben sind, jetzt endlich bearbeiten kann. Es hat den Vorteil, dass ich meine Zeit im Augenblick dafür nutzen kann, endlich Dinge aufzuräumen. Ich habe von vielen Veranstaltungen nur die Unterlagen mitgebracht und irgendwo abgelegt. Und für mich hilft es sehr, zu reflektieren und zu fragen, was ist wirklich wichtig und auf die Prioritäten zu setzen, auf die Dinge, die wirklich zählen für die Zukunft. Und so ist diese Zeit für mich darüber sehr hilfreich.

Ist das für Sie als Mensch eine Zeit, die Sie eher beunruhigt, die Ihnen eher Angst macht, oder ist es etwas, was Ihnen Hoffnung bereitet?

Naja, ich glaube, dass es schon wichtig ist, mal den Kontext zu sehen. Im Vergleich zu vielen Jahrhunderten vor uns ist das, was jetzt passiert, eigentlich relativ harmlos. Ich meine, Sie müssen sehen, dass im 17. Jahrhundert in Europa durch die Pest fast die gesamte Bevölkerung dahingerafft worden ist. Dagegen ist die Mortalität einer Corona-Infektion minimal. Zum anderen ist es schon so, dass es wichtig ist, das zu vergleichen mit anderen Katastrophen und Ängsten, mit denen Menschen jetzt zum Beispiel in Syrien zu tun haben. Oder ich war vor kurzem in Bangladesch, da relativiert sich doch einiges von dem, was wir an Angst haben. Es ist wichtig zu begreifen, dass alle Menschen auf der Welt ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben und ein Leben haben, das sie weitgehend selber bestimmen können. Da beklagen wir uns vielleicht im Moment auf ziemlich hohem Niveau im Verhältnis dazu.

Sie beschäftigen sich ja sehr viel mit Ökosystemen, also wirklich auf eine sehr visionäre Art und Weise in die Zukunft gewandt. Sehen Sie in irgendeiner Art und Weise einen Zusammenhang zwischen dem, was gerade passiert, also nicht nur mit dem Virus, sondern der Art und Weise, wie die Menschheit damit umgeht und dem Zustand unseres Ökosystems überhaupt? Ich frage deswegen, weil ich gerade viele Stimmen höre, die sagen, na, irgendetwas musste kommen, damit wir mal aufwachen.

Ja, ja, es gibt einen deutschen Bundespräsidenten, der erzählt, dass sich die Erde jetzt an den Menschen rächt, so etwas. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass viele Menschen unterschwellig bedauern, dass sie nicht schon vorher bei irgendeiner Katastrophe dabei waren. Je größer die Katastrophe ist, desto mehr erscheint man doch ein Teil eines bedeutenden Projektes zu sein. Also ich kenne viele Leute, die unterschwellig bedauern, dass sie nicht beim Untergang der Titanic dabei waren. Wir sollten schon schauen, dass wir unsere persönliche Befindlichkeit und die Befindlichkeit, die den Planeten insgesamt betrifft, auseinanderhalten. Es geht nicht um den Untergang der Welt, den viele projizieren, oder um das Ende der Menschheit. Es geht darum, dass die Arten, die uns besonders liebenswert erscheinen, wie Bären, Löwen, Tiger, Giraffen, Zebras, Elefanten und Pandabären, ihre Existenz einbüßen. Viele Pflanzenarten, die wir noch nicht mal richtig erkannt haben, verschwinden durch unseren Einfluss. Es geht nicht um das Überleben des Planeten, sondern darum, dass wir das verlieren, was uns menschenwürdig macht. Wir kannibalisieren uns und zerstören das, was wir aufgebaut haben durch langes Wissen der Menschheit in verschiedenen Kulturen, weil wir nicht verstehen, dass wir ein Teil des Ganzen sind.

Ich bin da ambivalent, weil die Menschen die Krise extra so apokalyptisch gestalten, dass es schon wieder etwas Entlastendes hat. Bei einer großen Katastrophe ist man Teil eines wichtigen Projektes. Das Ganze ist viel trivialer. Es geht wirklich darum, dass wir unsere Menschenwürde verlieren und diese lange Zeit verlieren. Wir verlieren all das, was diese Erde besonders schön macht. Die Kaninchen und die Ratten werden überleben, auch die Bakterien und Viren werden überleben. Es geht nicht um das Überleben des Planeten, aber es geht um viel mehr. Es geht darum zu fragen, warum sind wir überhaupt da? Was ist unsere Rolle auf dieser Welt? Da stehen uns im Wesentlichen die Religionen, traditionelle Verständnisse im Christentum, im Islam, gegenüber, die sagen, die Menschen sind böse und nur Gott kann sie erlösen. Sie sagen, sie schützen die Umwelt, wenn sie weniger Auto fahren oder das Handtuch im Hotel nochmal nutzen. Aber das ist kein Schutz, das ist nur weniger Zerstörung. Für weniger Zerstörung sind wir wirklich zu viele Menschen auf der Welt. Wir können lernen, nützlich zu sein. Wir können gut sein für andere Lebewesen. Wir sind das einzige Lebewesen auf der Welt, das Müll macht. Warum sind wir dümmer als alle anderen Lebewesen? Die anderen Lebewesen sind nützlich. Wir denken, wenn wir etwas weniger schädlich sind, würden wir etwas Gutes tun. Das ist ein prinzipielles Missverständnis. Ich finde es auch nicht gut für mein Kind, wenn ich mein Kind nur fünfmal schlage, anstatt zehnmal. Es braucht ein völlig anderes Lernen, ein völlig anderes Denken. Dass wir jetzt innehalten, hilft uns vielleicht auch, neue Prioritäten zu setzen.

Worin sehen Sie in der Krise jetzt die Chance? Ich beobachte, dass vor der Krise das Thema Umwelt sehr hitzig diskutiert wurde. Jetzt scheint das Thema vom Tisch zu sein. Ist das schlecht oder ist das vielleicht sogar gut, dass wir uns mal aus diesem Tunnelblick befreien? Oder laufen wir Gefahr, dass wir diese Themen jetzt völlig vergessen, weil wir nur panisch sind, dass wir uns anstecken könnten?

Ja, ich glaube, dass Panik jetzt ein sehr schlechter Ratgeber ist. Angst insgesamt ist schlecht. Es ist wichtig, die Menschen zu feiern und sie als Chance zu sehen. Gerade im deutschsprachigen Bereich ist es so, dass wenn man Angst hat und Stress hat, man eher nicht fortschrittlich wird, sondern eher in ein mittelalterliches Verhalten zurückfällt. Ihre Skepsis in der Frage kann ich nachvollziehen. Ich habe große Sorge, dass wir die Vitalität verlieren, die Dinge zu ändern. Wir brauchen die finanziellen und technischen Möglichkeiten, die Zeit, uns kulturell, mental und sozial anders zu orientieren. Diese könnten wir darüber einbüßen, weil wir die Vitalität dafür nicht mehr haben. Es gibt aber auch andere Kulturen. In Frankreich erlebt man eher, dass man nach vorne denkt, wenn man Angst hat und Stress hat. Die französische Revolution wäre bei uns nicht denkbar gewesen. Es gibt kulturelle Unterschiede. Wenn wir als Europäer das betrachten, glaube ich, dass es eher eine Chance ist, weil wir den Zusammenhalt besser begreifen und verstehen, dass wir nur gemeinsam etwas ändern können und erreichen können. Darum bin ich insgesamt vorsichtig optimistisch, dass uns diese Krise hilft, Dinge neu zu sehen.

Ich hatte es gerade sehr berührt, was Sie über den Grundgedanken der Menschen als böse oder über das Retten der Welt, indem wir aufhören, Dinge zu tun, gesagt haben. Ich habe instinktiv immer eine Abneigung gegen Dinge, die nach Verbot oder Verzicht klingen, weil ich daran glaube, dass das Leben in sich pure Fülle ist. Ist daraus auch Ihr Cradle-to-Cradle-Ansatz entstanden?

Ja, es geht um die Kultur der Großzügigkeit. Die Erde hat 20.000 Mal mehr Energieeintrag, als man auf der Erde brauchen würde, auch für die anderen Lebewesen. Wir können großzügig sein, wie ein Kirschbaum im Frühling, der nicht spart, sondern nützlich ist, Lebensraum schafft für 200 andere Arten, die Luft und das Wasser reinigt, die wertvollsten Substanzen synthetisiert durch Überfluss an Energieeintrag. Wir haben ein nördliches Modell, wo es dunkel und kalt ist, globalisiert. Es fing schon mit der Definition der Nachhaltigkeit an, die sagt, die Bedürfnisse der jetzigen Generation zu erfüllen, ohne den zukünftigen Generationen zu schaden. Wie traurig! Ich möchte gut für meine Kinder sein und nicht ihnen nicht schaden. Wenn es dunkel und kalt ist, wenn man friert, muss man vermeiden, sparen, verzichten, reduzieren. Die Erde insgesamt ist ein System, das großzügig verschwenderisch sein kann, aber intelligent verschwenderisch, nicht zerstörerisch verschwenderisch. Es gibt viele Gestaltungsmöglichkeiten, aber es ist ein prinzipielles Missverständnis.

Eine Stadt wie Wien oder München möchte klimaneutral sein. Das ist extrem traurig, wenn man wirklich überlegt. Klimaneutral kann ich nur sein, wenn ich nicht existiere. Kein Baum ist klimaneutral, ein Baum ist gut fürs Klima. Stellen Sie sich vor, Sie kommen abends heim und erzählen Ihren Kindern, dass Sie heute kinderneutral sein wollen. Sie wollen nicht gut für Ihre Kinder sein, aber das ist das höchste Ziel der Europäischen Union. 2050 will man klimaneutral sein. Ich möchte gut fürs Klima sein, ich möchte nützlich sein für die anderen Lebewesen. Ich möchte, dass sie sich freuen, wenn es mich gibt und nicht, dass sie denken, oh, wer läuft hier neutral durch die Gegend. Ich möchte, dass wir einen großen Fußabdruck haben, der aber ein Feuchtgebiet wird. Wenn Sie entlang der Donau laufen, ist jeder Fußabdruck ein kleines Feuchtgebiet, ein Retentionsraum. Warum wollen wir den menschlichen Fußabdruck nicht feiern? Warum wollen wir die Menschen nicht als Chance für den Planeten sehen? Das heißt nicht, dass wir uns die Dinge an uns raffen. Wenn ich die Existenz von Menschen in Frage stelle, werden sie raffgierig und geizig, weil sie sagen, bevor du es mir wegnimmst, nehme ich es lieber selber. Wenn Menschen gemocht sind, wenn sie geschätzt sind, wenn sie als solche gemocht sind, ohne dass sie besonders leisten, sind Menschen großzügig und freundlich. Das ist in allen Kulturen so. Wir könnten zu einem weit bescheideneren Lebensstil kommen, nicht deshalb, weil es uns jemand vorschreibt, sondern weil wir uns freuen, dass es den anderen auch gut geht. Die Grundfrage ist die des Menschenbildes, die Rolle der Menschen auf dieser Welt. Für weniger schädlich sind wir zu viele Menschen. Es wäre besser, es gäbe dich gar nicht. Diese Logik würde sagen, dass eine Prämie gut ist, wenn man nur ein Kind hat, weil man die Umwelt entlasten würde. Das sagt jedem Menschen, es wäre besser, es gäbe dich nicht. In dieser Logik könnte man Corona als gut sehen, weil dadurch die Zahl der Menschen signifikant reduziert werden könnte. Wir verlieren unsere Würde und feiern Menschen, die möglichst viele andere umbringen, weil sie die Belastung für den Planeten reduzieren.

Ist das einer der psychologischen Gründe, warum wir Schwierigkeiten haben, uns dem Umweltschutz anzuschließen, weil es fast immer auf Verzicht beruht?

Ja, das hat eine religiöse Komponente. Religion hat in vielen Kulturen versucht, Menschen einzuschüchtern, indem man ihnen sagt, dass sie erlöst werden müssen, dass sie von sich aus eine Erbsünde haben, dass sie jemanden brauchen, anstatt die Göttlichkeit in uns zu feiern. Es hat Menschen abhängig gemacht, eingeschüchtert und das wurde verinnerlicht, ohne dass es reflektiert wird. Daher kommt die Schuldsprache, vermeiden, verzichten, reduzieren, sparen. Stattdessen sollten wir eine Kultur schaffen, die auf Großzügigkeit und Freundlichkeit aufgebaut ist. Ich habe das erst richtig begriffen, als ich zwei Jahre in China gearbeitet habe. In China erwarten die Leute auf dem Land, dass man nach dem Essen bleibt, bis man die Toilette aufsucht. Es gilt als unhöflich zu gehen und die Nährstoffe mitzunehmen. Der Biobegriff erlaubt nicht, dass meine eigenen Stoffwechselprodukte eingesetzt werden. Es ist nur Bio, wenn ich nicht dabei bin. So verliert selbst der radikalste Bio-Anbau bis zu zwei Tonnen Bodenprohektor im Jahr, weil meine eigenen Fäkalien nicht eingesetzt werden dürfen. Ich habe das erst in China begriffen. Wir sind die Eingeborenen dieses Planeten und wir halten uns nicht so.

Es gibt auch eine Romantisierung der Natur, die mit schlechtem Gewissen durch Zerstörung der Natur zu tun hat. Mutter Natur klingt schön, aber das Kind fühlt sich schlecht, weil die Mutter gut sein muss. Eine Krebserkrankung ist eine natürliche Notwendigkeit. Langlebige Organismen könnten sich ohne Mutagenität nicht anpassen. In jedem Körper entstehen jeden Tag 10 bis 15 Krebszellen als Effekt der Zellteilung. Die stärksten Krebserzeugenden Stoffe sind Naturstoffe. Welche Mutter würde ihrem Kind Krebs geben? In Syrien werden Menschen mit Chemiewaffen ermordet, aber die Natur kann giftigere Stoffe erzeugen. Die Natur braucht Mutagenität für Anpassung. Welche Mutter würde ihr Kind vergiften? Ich habe in Holland sechs Jahre gelebt, acht Meter unter dem Meeresspiegel. Wenn ich dort von Mutter Natur reden würde, würde mich die nächste Flutwelle mitnehmen. Die Natur ist unsere Lehrerin, nicht unsere Mutter. Wir können von der Natur lernen, wenn wir begreifen, dass wir ein Teil davon sind. Die Natur ist unsere Partnerin, nicht zu romantisieren. Im deutschen Sprachbereich gibt es viele Lieder über den Wald und die Bäume, weil wir den Wald systematisch niedergebrannt haben. Das schlechte Gewissen wird durch Geste des guten Willens ausgeglichen. Nach der Nazi-Diktatur kam ein zusätzliches schlechtes Gewissen. Wenn eine Kultur elementare Barbarei nicht aufhalten kann, was ist sie wert? Das hat ein zusätzliches schlechtes Gewissen gebracht. Man entschuldigt sich, dass man da ist. Viele Menschen sagen, man müsse die Nazi-Geschichte abschließen. Wir haben die Verbrechen nicht begangen, aber wir können daraus lernen. Wenn wir uns ständig entschuldigen, dass wir da sind, sind wir nicht kreativ. Wir optimieren nur das Bestehende. Wir versuchen, eine Plastikfolie 10 Prozent leichter zu machen, statt zu fragen, was das Richtige ist. Wir optimieren vielfach das Falsche und machen es damit perfekt falsch. Effizienzdenken anstatt Effektivität. Im ökologischen Bereich erzählen Kollegen, dass es besser ist, 1000 Liter mehr aus einer Kuh herauszuquetschen, statt zu fragen, was gesunde Nahrung ist. So optimiert man das Falsche und macht es perfekt falsch. Ein Land wie Polen hat die Umwelt durch Ineffizienz besser geschützt als Österreich. Daher zuerst fragen, was das Richtige ist, nicht wie man es richtig macht. Das philosophische Fundament Ihres Ansatzes ist eine Versöhnung des Menschen mit sich selbst, Frieden mit sich selbst und Anerkennung des eigenen Wertes innerhalb der Existenz.

Ja, wenn Menschen sich nicht akzeptieren, können sie nicht gut zu anderen Lebewesen sein. Wir müssen begreifen, dass Menschen eine Chance für den Planeten sein können. Wenn man Menschen als Belastung stilisiert, wird er zur Belastung. Wenn man ein Kind in die Ecke stellt, muss es sich wehren. Es geht darum zu sagen, ja, wir gehören dazu, wir sind ein Teil davon. Die Grundfrage ist philosophisch-theologisch. Augustinus im fünften Jahrhundert hat sich überlegt, ob das Böse seine eigene Qualität hat. Er kam zur Schlussfolgerung, dass das Böse keine eigene Seinsqualität hat. Wenn das Böse eine eigene Seinsqualität hätte, gäbe es Gott nicht. Die Grundfrage ist, ob das Böse eine Qualität ist oder nur die Abwesenheit von Qualität, wie Hannah Arendt über die Banalität des Bösen philosophiert hat. Dunkelheit ist nur die Abwesenheit von Licht. Nachhaltigkeit ist letztlich ein trauriges Konzept, das Bestehende stabilisiert, wenn das Bestehende falsch ist. Echte Innovation ist nicht nachhaltig. Die Waschmaschine war nicht nachhaltig für meine Mutter, die die Wäsche im Fluss gewaschen hat. Die Dampfmaschine war nicht nachhaltig für Leute mit Pferdevorwerken. Das Mobiltelefon war nicht nachhaltig für Leute mit stationären Telefonen. Nachhaltigkeit führt dazu, das Bestehende weniger schädlich zu machen. Echter Fortschritt bedeutet, sich von dem falschen Ansatz zu lösen.

Jetzt könnte man denken, dass das utopisch ist, aber Sie sind Wissenschaftler. Cradle to Cradle ist ein praktischer Ansatz.

Ja, es geht darum, nützliche Dinge zu machen, nicht weniger schädliche. Alles, was verschleißt, Schuhsohlen, Autoreifen, muss so gemacht werden, dass es in biologische Systeme zurückgehen kann. Ich meine nicht, dass man unbedingt Autos haben sollte, aber Autoreifen sollten nützlich für die Biosphäre sein. Dinge wie Fernseher, technische Geräte sind technische Nährstoffe. Es gibt keinen Abfall mehr, alles ist Nährstoff. Menschen glauben, Umweltschutz ist eine Kläranlage, aber es ist Umweltschutz, wenn es keine Kläranlage braucht. Textilien können so hergestellt werden, dass das Wasser aus der Fertigung für die Bewässerung verwendet werden kann. Das erste Cradle-to-Cradle-Produkt waren essbare Bezugsstoffe. Heute müssen Stoffzuschnitte als Sondermüll verbrannt werden. Ich suche alle Zutaten aus, dass ich sie auch essen könnte. Alle Materialien werden so gemacht, dass sie für die Biosphäre geeignet sind. Niemand braucht eine Waschmaschine, sondern nur saubere Wäsche. Wenn der Hersteller nur 3.000 Waschgänge verkauft, kann er die besten Materialien verwenden. Man verkauft kein Schreibtischstuhl mehr, sondern 10 Jahre gesundes Sitzen. Der Hersteller verwendet drei Kunststoffe, statt 40 billige Kunststoffe. Alles wird zur Dienstleistung. Es geht nicht um Eigentum, sondern Besitz. Der Hersteller behält das Material. Gebäude werden zur Materialbank. Man fragt, was man wirklich haben will. Cradle to Cradle bedeutet, von der Wiege zur Wiege zu denken, statt von der Wiege zur Bahre.

Können Sie ein bekanntes Beispiel einer Firma oder eines Produkts nennen, das

 konsequent Cradle to Cradle umgesetzt hat?

Ja, die Firma Tarkett macht Millionen Quadratmeter Fußbodenbeläge und hat sich verpflichtet, ihr Unternehmen umzustellen. Sie verkauft keine Fußbodenbeläge mehr, sondern Fußboden-Verpackungsversicherung. Oder die Firma Goodbaby, die Kindersachen herstellt. Sie machen Materialien, die für die Technosphäre oder die Biosphäre geeignet sind. Es gibt auch den Cradle-to-Cradle-Verein mit über tausend Mitgliedern, überwiegend junge Leute. Wenn man verstanden hat, dass weniger schlecht nicht gut ist, will man gut sein und nicht weniger schlecht.

In den letzten zwei Jahren ging es um Verzicht, zum Beispiel auf Reisen. Wie ist Ihre Perspektive auf das Reisen?

Das gab es schon früher in der DDR, Friedensbewegung. Greta Thunberg schützt nicht die Umwelt, wenn sie mit dem Zug fährt oder dem Segelschiff, sie zerstört nur weniger. Wenn ich den Leuten nur ein schlechtes Gewissen mache, wird das Bestehende weniger schädlich, aber das Bestehende ist tödlich. Wir brauchen ein neues Denken, ein anderes Denken. Wir wollen gut sein für die Gesellschaft, aber das bedeutet, dass das Individuum sich als Teil des Ganzen versteht. Es geht um ein Triple-Top-Line: gut für die Gesellschaft, gut für die Wirtschaft und gut für die anderen Lebewesen. Die jetzige Nachhaltigkeit macht den Kunden zum Feind. Wenn du es gar nicht kaufst, ist es noch besser. Aber damit verliert das Unternehmen die Vitalität, sich zu ändern. Besser wäre zu sagen, wo wollen wir 2030 sein? Je mehr davon gekauft wird, desto schneller kommen wir voran, auch wenn es noch nicht perfekt ist. Der Kunde hilft dem Unternehmen durch seine Nachfrage. Es geht nicht um Wettbewerb, um Recht haben, sondern darum, im Dialog die Dinge anzuschauen. Es hilft nicht, halb so viel Rindfleisch zu verspeisen, sondern zu fragen, was gesunde Nahrung ist. Rindfleisch ist die ungesündeste Form, Eiweiß aufzunehmen. Wenn man Algen, Pilze oder Bakterien als Nahrungsgrundlage hätte, würde man über 80 Prozent des Eiweißes aufnehmen. Es geht nicht darum, Rindfleisch umweltfreundlich zu produzieren, sondern zu fragen, was gesunde Nahrung ist. Man optimiert das Falsche und macht es perfekt falsch. Ich hatte eine Diskussion über die Verwendung von Eierschalen aus der Massentierhaltung als Füllstoff für Teppichböden. Damit macht man eine absurde Form von Landwirtschaft kostengünstiger. Leute packen giftige Flugaschen in Bausteine und nennen das Kreislaufwirtschaft. Man optimiert das Falsche. Es ist wichtig, zu fragen, was gesunde Nahrung, gesunde Luft ist, und nicht, wie man das Gebäude versiegelt, um Energie zu sparen. Die Luft im Gebäude ist schlechter als städtische Außenluft. Kinderkrankheiten sind häufig in Mitteleuropa. Die erste Frage ist, was ist gesunde Luft, nicht wie spare ich Energie?

Wie würde ein klimapositives Transportwesen aussehen? Wie können Menschen klimapositiv fliegen?

Es geht darum, das Gesamtsystem zu sehen. Kann ein Mensch, indem er irgendwo hinfliegt, etwas lernen oder beitragen, dass wir nützlich sind für diesen Planeten? Das Gesamtsystem ist nützlich. Zum Beispiel könnten wir durch landwirtschaftlichen Bodenaufbau Kohlendioxid-Emissionen ausgleichen. Wenn ich in die Türkei fliege und den Leuten helfe, haselnusssträucher zu pflegen, lerne ich viel und es ist egal, wie ich dorthin komme. Unsere Landwirtschaft setzt 10 Kalorien Energie ein, um eine Kalorie zu erzeugen. Wenn ich den Aufzug nehme, statt die Treppe, senke ich meinen Kohlenstoff-Fußabdruck. Es geht um die richtige und gesunde Ernährung, nicht ob ich irgendwo hingeflogen bin. Es wäre sinnvoller zu fragen, wo bin ich nützlich? Man könnte Transportwege brauchen, um Teppichböden zurück zu transportieren, aber sie könnten Feinstaub binden. Wir verlieren durch Luftschadstoffe 7 Jahre Lebenserwartung, 30 Mal mehr als durch Corona. Es geht um die Gesamtbilanz. Sport verursacht Kohlendioxid, im Bett liegen weniger. Wenn ich gesund esse, trage ich mehr zum Klima bei. 

Sind Sie zufrieden mit der Geschwindigkeit, in der sich diese Perspektive ausbreitet?

Ja, ich bin optimistisch. Cradle to Cradle hat sich schnell verbreitet. Es gibt über 11.000 Produkte. Wenn die Geschwindigkeit bleibt, wird vor 2050 alles Cradle to Cradle sein. Wenn man verstanden hat, dass weniger schlecht nicht gut ist, möchte man gut sein. Designschulen lehren Cradle to Cradle. Designer werden zu Gestaltern. In Mitteleuropa haben wir in vielen Bereichen den Anschluss verpasst, aber wir wissen, wie man Dinge gesund und gut für die Umwelt macht. Es geht um einen Paradigmenwechsel, zu begreifen, dass das Glas halb voll ist, nicht halb leer. Ich bin optimistisch, wie schnell sich das umsetzt. Andererseits sehe ich, dass wir, wenn wir die Dinge jetzt nicht ändern, nicht mehr die Vitalität haben, sie zu ändern. Ich habe 24 Jahre für kompostierbares Leder gearbeitet, jetzt gibt es das Leder, aber keine Gerbereischule mehr. Europäische Solaranlagen haben nach 19 Jahren 93 Prozent Wirkungsgrad, chinesische Anlagen verlieren in fünf Jahren die Hälfte. Wenn ich die Solaranlage kaufe, mache ich Sondermüll. Wir müssen das Geschäftsmodell ändern. Ich freue mich, dass es Leute wie Sie gibt, die als Katalysator wirken. 

Ich habe noch zwei kleine Fragen. Unser Publikum ist begeisterungsfähig und viele sind selbstständige Unternehmer. Wie kann man Teil dieser Philosophie werden? Welches Buch empfehlen Sie zum Einstieg?

Ich habe Bücher geschrieben, aber es geht mir um die Denkweise. Ich empfehle, im Cradle-to-Cradle-Verein mitzumachen. LiveTrust könnte eine Plattform sein, um Produkte und Dienstleistungen neu zu denken. Wir brauchen eine Kommunikationsplattform. Ein Mobiltelefon hat 41 seltene Elemente, nur 9 werden zurückgewonnen. Es braucht eine neue Gestaltung. Unternehmen könnten ihre Produkte als Dienstleistungen anbieten. Man könnte überlegen, ob man Produkte verbrennen oder kompostieren kann. Die Firma Adler in Österreich hat Holzfarben, die für Holz geeignet sind und in biologische Systeme zurückgehen können. Echte Unternehmer können Cradle to Cradle als Innovationschance begreifen.

Woher ziehen Sie Ihren Optimismus, Ihren Sinn, Ihre Kraftquelle?

Ich schaue die Menschen an und frage, was sie davon abhält, ihr Potenzial zu leben. Es ist meist Angst und Unsicherheit. Ich mag die Menschen und sehe sie als Möglichkeit, als Chance. Wenn ein Kind sich so verhält, dass es anderen schadet, ist es aus Angst. Menschen sind für mich die Quelle des Potenzials. Viele Menschen lernen jetzt in kurzer Zeit. Wir müssen bescheiden sein, wie schnell sich die Menschheit entwickelt hat. Europäisches Denken neigt dazu, Probleme zu wälzen. Amerikanisches Denken hilft, Dinge zu gestalten. Südliche Lebensfreude, Großzügigkeit des Energieeintrags sind notwendig. Asiatisches Kreislaufdenken hilft. Wenn wir alles zusammenbringen, was die Menschheit gelernt hat, kommen wir schneller voran. Die jetzige Epidemie wird uns zusammenbringen und fragen lassen, was wirklich wichtig ist.

Herr Professor, ich bedanke mich für das lichtvolle Gespräch. Ich fühle mich inspiriert. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Ich hoffe, dass der Funke überspringt zu allen, die das gerade hören.

Das war eine Folge aus dem Podcast „Seelengevögelt“ für die Rebellen des Geistes. Hat dir die Folge gefallen? Dann freuen wir uns über deine Bewertung. Du kannst den Podcast abonnieren und bleibst so immer auf dem Laufenden. Wir danken dir fürs Zuhören, schön, dass es dich gibt.

Weitere Podcasts

Episode 125