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Erhebe deine Stimme | Carsten Stahl im Gespräch mit Veit Lindau | Folge 185

Beim folgenden Text handelt es sich um automatisch generierte Zeilen des von Veit Lindau eingesprochenen Podcasts. Diese wurden mit Hilfe von künstlicher Intelligenz korrigiert, sodass sie weitgehend korrekt sind. Für etwaige Fehler entschuldigen wir uns. Den Originalpodcast kannst du über die untere Player-Leiste hören.

Hey du, wie schön, dass du auch zu dieser Folge im Podcast „Seelengevögelt – Für die Rebellen und Rebellinnen des Geistes“ mit Veit eingeschaltet hast. Ich heiße Svenja und freue mich, dich heute zu dieser ganz besonderen Folge mit Veit Lindau und Carsten Stahl willkommen zu heißen.

Kennst du Carsten Stahl schon? Carsten ist Schauspieler, Kampfsportler, Konfliktmediator, Aufklärer und vor allem Präventionscoach sowie Anti-Mobbing- und Gewalttrainer. Unermüdlich setzt sich Carsten dafür ein, unsere Gesellschaft und unsere Politiker:innen für das Thema Gewalt und Mobbing an Schulen zu sensibilisieren.

Dabei teilt er in diesem inspirierenden Interview seine persönliche Geschichte mit dir und zeigt dir auf, wieso es so wichtig ist, dass wir gemeinsam aktiv werden. Wusstest du, dass sich in Deutschland jeden zweiten Tag ein Kind aufgrund von Mobbing das Leben nimmt?

Was du tun kannst, das erfährst du jetzt. Ich bitte dich, bitte schau hin und lass dich berühren. In der Textbeschreibung findest du noch weitere Informationen und Links zu dem Thema. Und wie Carsten im Interview sagt: „Das Böse kann nur gewinnen, wenn das Gute wegschaut.“

Also, lass uns gemeinsam hinsehen. Ich wünsche dir wundervolle Erkenntnisse, sehr wertvolle in diesem Interview, und bis gleich. 

Carsten, erstmal vielen, vielen Dank, dass du dir am Sonntag Zeit nimmst. Ich habe gerade so im Hintergrund gehört, die ganze Familie ist zu Hause. Also danke, dass du auch heute zu diesem Thema präsent bist. 

Ja, auch ich danke dir erstmal, dass du dir auch am Sonntag dafür Zeit nimmst. Es ist einfach so: Mobbing oder Missbrauch schläft auch nicht, hat kein Wochenende, ist 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche aktiv und genau das bin ich seit sieben Jahren auch. Deshalb muss man jede Möglichkeit nutzen, auch die Reichweiten nutzen, um darauf aufmerksam zu machen, um Missstände aufzudecken, Versagen auch anzuprangern, wenn es nicht anders geht, denn die Politik handelt nicht anders und vor allem gemeinsam für unsere Kinder zu kämpfen und für unsere Gesellschaft.

Du bist, muss ich jetzt sagen, von den Instagram-Accounts, denen ich folge, der sehr wahrscheinlich unbequemste, weil da nicht ein einziges nettes Wort, keine Wohlfühlfloskel kommt, sondern einfach Tacheles, Tacheles, Tacheles. Kann ich mir vorstellen, damit bist du ja unbeliebt. Ich würde heute gerne, bevor wir tiefer auf das Thema einsteigen, was extrem wichtig ist, gerne auf deine Person zu sprechen kommen, weil als ich dich das erste Mal erlebt habe, habe ich gemerkt, okay, da brennt jemand und der muss damit raus. Wie kommst du persönlich durch deine Geschichte zu diesem Thema? 

Also, es ist ja so, wir alle sind nur die Summe unserer Erlebnisse. Ja, also jeder von uns hat was erlebt und viele von uns verdrängen das dann und versuchen im Leben ihren Weg zu finden.

Es gibt natürlich welche, die haben das Glück, nichts Negatives oder nicht viel erlebt zu haben. Und dann gibt es die, die sehr viel erlebt haben. Und Mobbing, Gewalt war immer ein Bestandteil meines Lebens.

Es hat mich geprägt, die Kriminalität hat mich geprägt, in die ich dann abgerutscht bin. Ich habe das Glück, in kleinster Form Opfer von Missbrauch geworden zu sein, aber durch meine Arbeit und auch durch viele Freund:innen oder Bekannte, auch durch eine eigene Freundin, bin ich damit in Konfrontation gekommen, kenne dieses Thema und seitdem ich mich für den Schutz von Kindern einsetze, ist das tagtäglich, was da auf mich zukommt. Und das macht schon etwas mit dir. Das kannst du nämlich gar nicht ablegen. Aber viele fragen mich immer, wie gehst du damit um? Gemessen an wahrscheinlich anderen bin ich ein sehr widerstandsfähiger Mensch, der viel verarbeiten kann. Manchmal mehr, manchmal weniger. Aber einer muss diesen Job machen. Und ich habe mir diese Bürde auferlegt, weil ich eine Gabe habe, so sagen viele. Und ich habe eine Bestimmung, so wie du, so wie jeder andere auch.

Und meine Bestimmung ist es, die Gesellschaft wachzurütteln oder das Totschweigen unserer Gesellschaft zu lösen, dieses Tabu oder diese unangenehmen Themen in den Fokus zu rücken. Weil nur dann können wir sie auch angehen. 

Und ich habe extreme Erfahrungen als Mobbing-Opfer gehabt. Als ich zehn Jahre alt war, hat man mich geschlagen, getreten, psychisch fertig gemacht, weil ich ein kleiner Rotschopf war. Ich hatte damals viele Sommersprossen und war etwas dicker. „Fette Sau“, „Brille“ waren noch die harmlosesten Dinge, die ich mir damals anhören musste. Es war gar nicht so schlimm in meiner Klasse. Aber es gab halt an der Schule die, die beliebt waren, die anerkannten oder einfach die, die am stärksten waren und andere dann schikanierten.

Und diese Gruppe hat auch mich irgendwann auf den Kieker gehabt. Du musst nicht mal etwas machen. Du musst nichts machen. Jeder kann Opfer von Mobbing sein. Und das waren wir eigentlich auch alle schon, entweder als Mittäter:innen oder als Opfer. Es ist unbequem, darüber zu reden. Und ja, ich war das dann auch und das hat mich fast ein Dreivierteljahr verfolgt und das brachte mir so viel Angst und Suizidgedanken ein, weil sie mich wirklich extrem schikaniert haben. Sie haben mich in Mülltonnen gesteckt, geschlagen, getreten, erpresst, bedroht, mich mal in eine Grube geschmissen, wo ich drei Meter tief aufgeschlagen bin, mir den Kopf aufgeschlagen habe, geblutet habe, Rippen gebrochen habe. Das hat die gar nicht interessiert.

Also zumindest wirkte das auf mich damals so. Dann haben die sich um die Grube gestellt und zu fünft auf mich runtergepisst. Was das mit einem zehnjährigen Jungen macht, kannst du dir denken. Und die meisten Opfer von Mobbing oder Betroffenen von Mobbing, das ist vielleicht ein härteres Wort, zerbrechen daran oder werden selbst zu Täter:innen, um daraus zu kommen. Und das ist genau diese Gruppendynamik, dieser Gruppenzwang. Und dann wird man entweder selbst zum Täter und macht mit, damit man selber nicht mehr da reinkommt, also nicht mehr das Opfer ist.

Und dann, und das ist ein fließender Übergang, merkt man gar nicht, dass man selber Täter:in wird. Und ich war ja damals zehn, war etwas kleiner, untersetzter und schwächer. Und dann kam ich mit einem Schub in die Pubertät und habe zugenommen, bin größer geworden.

Und irgendwann, weil man mich wieder bedrängt hat, habe ich mich zur Wehr gesetzt. Und auf einmal habe ich gesehen, ups, der, der… Und dann habe ich einen Mechanismus gemerkt, der gefährlich ist für unsere Gesellschaft. Wenn du dich wehrst, was ja eigentlich normal sein sollte, aber das Wehren nicht verbal mit einer Schutzreaktion ist, sondern durch Gewalt, dann – und das ist das Komische oder das Traurige – dann reagieren die anderen darauf. 

Und wenn du dann körperlich überlegener bist, lassen sie dich in Ruhe. Du lernst also in dem Moment, Gewalt ist die Lösung. Was es natürlich nicht ist. Aber wir folgen dann praktisch entweder der körperlichen Gewalt oder indem wir anfangen, andere selber zu mobben, durch verbales, durch Auslachen, durch Mitmachen, bloß nicht wieder in die Opferrolle zu geraten.

Und Mobbing ist kein Problem der Schulen. Es ist ein Geschwür unserer Gesellschaft. Es gibt es in jeder sozialen Schicht, es gibt es bei der Polizei, bei der Feuerwehr, in der Politik, es ist ein legitimes Mittel. Und worum geht es denn bei Mobbing? Um Macht und Positionierung. Und das erlernt man ganz früh, heute schon in der Kita. Und wenn man da nicht eingreift und keine Prävention macht und nicht Stopp sagt, dann kommen Menschen zu Schaden.

Und diese Zahlen werde ich dir im Laufe unseres Interviews ja mal erläutern. Und dann wird jeder auch verstehen, warum ein System, was mit Sicherheit eines der besten auf der Welt ist, Lücken und Fehler hat.

Und die kann man nicht totschweigen. Die muss man lösen und abstellen. Wie alt bist du heute, Carsten? 

Ich bin heute 48. Ich werde 49, ich will mir ja nicht noch ein Jahr klauen. 

So, ganz kurz im Schnelldurchlauf. Was ist seitdem passiert? Also wie bist du zu dem Menschen geworden, der jetzt gerade vor mir sitzt? 

Also vom Opfer bin ich dann irgendwann, das hatte ich ja kurz schon erzählt, natürlich in die Pubertät gekommen, bin etwas kräftiger geworden, habe mich zur Wehr gesetzt, habe dann gemerkt, oh, jetzt gehöre ich ja auf einmal dazu, jetzt akzeptieren sie dich.

Dann habe ich angefangen, einfach auch mitzumachen, mitzulachen, mit wegzusehen, denn das ist der Multiplikator: Mitmachen und wegsehen. Und bin dann wieder größer geworden, habe dann irgendwann auch durch ständige, immer wieder körperliche Behauptung beim Sport oder so, ich war dann auf einmal körperlich überlegen, weil ich größer und kräftiger wurde und habe dann auch noch angefangen, weil ich unheimlich viel diese Rocky-Trilogie gesehen habe, habe ich angefangen zu boxen, habe Kampfsport gemacht und war ja dann noch körperlich überlegener. Und ja, habe dann… und das ist es halt. Dann bin ich vom Opfer, zum Täter geworden, und jetzt muss man bedenken, ich bin in Berlin, Neukölln groß geworden. Also nicht irgendwo in Grünwald, in München, sondern in einer Gegend, die sowieso schon geprägt ist durch Gewalt, durch Kriminalität. 

Und wenn du da natürlich als junger Mensch aufwächst, kannst du ganz schnell unter Umständen an die falschen Freunde geraten. Oder sogar durch andere Kriminelle, die dir etwas vorleben. Nämlich, die haben Geld, die haben Autos, die haben attraktive Frauen, die sind älter, die sind… Oh, guck mal, das sind ja diese falschen Vorbilder, die heute auch im Netz zu sehen sind, mit den falschen Ideologien, die sie den Kindern vermitteln.

Und dann bin ich ganz schnell mit anderen darauf reingefallen, habe gemerkt, oh Mann, die akzeptieren dich. Denn wenn man früher als gemobbtes Kind nicht akzeptiert wurde, sehnt man sich nach Anerkennung und Akzeptanz.

Und die habe ich darin gefunden, in einer Ersatzfamilie, wenn man so möchte. Und bin dann hineingerutscht, hab erst kleinere Dinge gemacht, Kurierdienste, etc. und bin dann immer weiter hineingerutscht und hab gar nicht gemerkt, wie die mich instrumentalisieren und benutzen.

Passiert heute oft mit Menschen, die aus anderen Ländern kommen, die rutschen da rein, die haben einen Big Dream of Germany, der wird nicht erfüllt. Und dann sind sie natürlich leichte Beute für kriminelle Organisationen, die sie verführen und für Drecksarbeit benutzen.

Ich bin da reingerutscht und war dann immer weiter tiefer hineingekommen und war dann 18 Jahre lang in dieser kriminellen Unterwelt, wenn man sie so will, tätig. Es gibt Dinge, die ich getan habe, für die ich mich schäme, auf die ich nicht stolz bin.

Aber es gibt auch Dinge, die ich nicht getan habe, weil ich sie mit mir, und da waren schon immer bestimmte Grundwerte in mir drin, nicht mit mir vereinbaren konnte. Also das Thema Prostitution, wo ich gesagt habe, was ist das für ein Mann, der Frauen unterdrückt oder vielleicht sogar noch Gewalt anwendet, um sie für sich arbeiten zu lassen? 

Also gar nicht, also ging gar nicht. Und natürlich Drogen, ich hab Drogen konsumiert, aber wusste natürlich auch, Drogenhandel, wenn du die, egal, wer auch immer derjenige ist, der sie konsumiert… 

Früher oder später kommen die Drogen an die Falschen, an die Kinder. Und das sind Dinge gewesen, wo ich gesagt habe, das geht für mich nicht. Das heißt nicht, dass andere das nicht gemacht haben. Aber da kann ich heute mir auf den Kopf hauen und sagen, wenn ich das alles getan hätte, würde man natürlich heute aufschreien und sagen, guck mal, der hat das und das und das und das gemacht. 

Nee, hat er nicht. Also vom Opfer bin ich zum Täter abgerutscht in die Kriminalität, da war ich 18 Jahre. Und dann, weil ich dann Vater geworden bin und dann auch ganz andere Gedanken kommen, du bist verantwortlich für ein Leben und man muss halt einfach wissen, wenn du in der Kriminalität bist, setzt du immer auch deine Familie einer Gefahr aus, weil du hast, man denkt immer, die Polizei ist dein größter Feind. 

Die Polizei, die kommt um sechs Uhr, tritt die Tür ein, legt dich auf den Bauch und legt dir die Handschellen an. Die wirkliche Gefahr sind die anderen Kriminellen. Die warten darauf, dass du das Haus verlässt und stehen in einer Ecke und rammen dir ein Messer ins Herz oder legen dir eine Kugel in den Kopf. 

Oder, und das ist noch die beste Variante, denn sie das tun, dass sie zu dir kommen. Sie kommen zu deiner Familie und versuchen, dir Angst und Druck zu machen, um dich da zu verletzen oder verletzt zu sehen. 

Und das geht immer am meisten und am schnellsten über die Familie. Also, das ist wirklich so, viele fragen mich auch immer, warst du mal im Gefängnis? Und dann sage ich immer, leider nein. Leider, sehr richtig. 

Weil wenn ich als junger Mensch vielleicht da reingekommen wäre, hätte ich vielleicht gemerkt, oh, oh, das willst du auf gar keinen Fall. Du hättest vielleicht eine Möglichkeit gehabt, daraus zu lernen. 

Aber ich sage das immer, aber eure Frage ist doch die, ob ich dafür gebüßt habe, was ich gemacht habe. Denn das ist ja die Grundlage. Wenn ich sage, ja, und das tue ich, ich habe mehr bezahlt, als ein Richter mir hätte in Strafe auferlegen können. 

Denn ich sagte es ja eben schon, die größte Gefahr ist, dass andere kommen und mir oder meiner Familie etwas antun. Und so ist es bei mir geschehen, nur dass sie sich nicht an mir abreagiert haben, sondern sie haben die Schwachstelle gesucht. 

Und das waren meine damalige Freundin, die im vierten Monat schwanger war. Und ja, sie wollten ein Exempel statuieren, wollten ihr Angst machen, damit ich lerne, dass es eskaliert. Und die Situation ist daran gegangen, dass sie missbraucht wurde. 

Und unser Kind, was sie in sich trug, durch diese Taten und die Gewalt, auch die Schläge, die sie bekommen hat, unser Kind verloren hat. Ich hätte heute einen Sohn, der wäre 22. Und ich habe also etwas bezahlt, was ich nie wiederbekomme. 

Und ich trage diese Schuld ein Leben lang mit mir, denn wer hat sich denn entschieden, kriminell zu gehen? Ich. Und wer hat die Gefahr nach Hause gebracht? Wer hat seine Familie nicht geschützt? Ich. Sie haben es getan. 

Aber ich habe es möglich gemacht. Aber jetzt immer wieder zurück zu den Ursprüngen. Bin ich als Täter ein Krimineller geboren? Nein. Man hat mich durch Mobbing und Gewalt in diese Richtung gelenkt. 

Und heute, viel über 30 Jahre, fast 40 Jahre später, läuft es immer noch so ab. Und die Politik und die verantwortlichen Schulsysteme haben immer noch nichts dazugelernt, weil 500.000 bis eine Million Fälle jede Woche von Mobbing, Gewalt, Hass und Vorurteilen an den Schulen, an allen Schulen gemeldet werden. 

Und keine Schule kann sich davon ausnehmen, wenn ich immer diese bescheuertste und verlogenste Lüge von Schulleitungen höre: An unserer Schule gibt es kein Mobbing. Jede Schule, ob das Elite ist, ob das Gymnasium ist, Grundschulen, jede Schule hat dieses gesellschaftliche Problem, weil es unsere gesamte Gesellschaft betrifft. Und warum sagen das die Schulleiter? Weil sie Angst haben, als schlechte Schule dazustehen. Aber wenn man sich nicht dem Thema annimmt und die Wahrheit sagt, wird man auch nicht nach einer Lösung suchen. Man lässt es, wie es ist, das heißt, man überlässt den Kindern sich selbst. Was bedeutet, es werden weiterhin Opfer, Täter:innen und Mittäter:innen in unsere Gesellschaft integriert. 

Und das ist traurig. Und wenn ich euch sage, wie viele Kinder sich jeden Tag wegen Mobbing umbringen wollen und wie viele Kinder jedes Jahr im Durchschnitt wegen Mobbing sterben, oder dass wir drei Amokläufer hatten, alle motiviert durch Mobbing: Erfurt, Winnenden und München 2016. Und Amerika, weil man dort Waffen wie Zuckerstangen kaufen kann. Mobbing ist ein Serienkiller. Jedes Jahr nehmen sich zwischen 250 und 350 Kinder im Durchschnitt das Leben wegen Mobbing. 

Jeden zweiten Tag mindestens. Und drei bis fünf probieren es. In Deutschland. In Deutschland. Wir reden jetzt nur von uns. Weltweit ist es noch viel höher. Und Mobbing hat natürlich heute eine andere Qualität als damals. 

Wenn man mich immer fragt, ist Mobbing schlimmer heute als früher? Früher gab es das Wort nicht, da hieß es Hänseln oder Verarschen. Warum? Weil ihr eine Waffe eingeführt habt. Eine Waffe. Die Digitalisierung in Form eines Smartphones. Damit haben wir Mobbing in jede Ecke unseres Landes gebracht. Wir haben es digitalisiert, wir haben es virtualisiert und wir können mit Videos. 

Früher musste ich halt sagen, Veit ist doof. Wisst ihr, wie früher Cyber-Mobbing ausgesehen hat? „Veit ist doof“ hätte irgendwo an einer Wand gestanden. Das war Cyber-Mobbing. Heute filmen sie dich, wie sie dich zusammenschlagen, prügeln. 

Oder bei, keine Ahnung, wie du unter der Dusche stehst oder so. Und veröffentlichen es. Das heißt, in Nullkommanichts weiß nicht nur die Klasse, dass Veit doof ist, sondern die ganze Schule, die ganze Region, die ganze Stadt. 

Und was macht das mit einem Kind? Es will sich umbringen. Das ist der Grund, warum sich weltweit die meisten Jugendlichen zu Zehntausenden umbringen. Und die Politik weltweit zum Thema Mobbing? Deutschland ganz stark, aber noch schlimmer ist die Schweiz und Österreich, ganz besonders die Schweiz. 

Da habe ich mal gesagt, liebe Schweizer, wenn euer Hirn mal so funktionieren würde wie eure Uhren, dann würde es euren Kindern besser gehen. Aber auch bei uns in Deutschland, und da habe ich meinen Teil dazu beigetragen, seit sieben Jahren, nehme ich dieses Thema aus der Tabuzone und bringe es mittlerweile in den Bundestag, in die Abgeordnetenhäuser. 

Ich bin laut und unbequem. Mache ich mir damit Feinde? Ja, dann mache ich alles richtig, weil nur wer die Wahrheit sagt, macht sich natürlich auch unbequem. Fontane hat das doch gesagt. Ja, das ist einfach so. 

Den Überbringer einer schlechten Nachricht kann man nicht attackieren, weil es die Wahrheit ist. Man attackiert den, der die Wahrheit sagt. Der Überbringer einer schlechten Nachricht wurde früher geköpft. Ja, ich überbringe einfach nur die Wahrheit. Die Wahrheit ist, Mobbing tötet Menschen. 

Was ist vor sieben Jahren passiert, Carsten? Also was war dein Turning Point? 

Vor sieben Jahren ist das passiert, was jedem passiert, der der Meinung ist, den Bogen zu überspannen. Irgendwann schlägt das Leben zurück. Mit der Härte, die keiner von uns sich wirklich vorstellen kann. 

Und ich wurde, vom Opfer zum Täter, und bin dann ausgestiegen, als ich selber Vater wurde. Aus dieser kriminellen Situation, weil ich meine Kinder nicht gefährden wollte. 

Und dann liebst du deine Kinder und dann kommt der Moment, wo deine Kinder, solange sie bei euch zu Hause sind oder wenn sie zu Hause sind, kannst du sie schützen. Du kannst sie behüten, du bist immer an ihrer Seite. 

Und dann kommt dieser große Moment. In einem Sommer, nach den Ferien, wenn die Kinder praktisch anfangen, einen Schritt ins Erwachsenenleben zu gehen. Und dann musst du sie als Eltern loslassen. Du musst sie in die Obhut der Schule geben, wo sie Schutzbefohlene der Lehrer:innen sind. 

Und das habe ich auch getan vor sieben Jahren. Und habe meinen Sohn Nikolai mit fünfeinhalb am Samstag zur Einschulung gebracht. Und wir haben gefeiert und er hat seine Schultüte gehabt. Und am Montag ist er zur Schule gegangen. 

Und er hatte einen wunderschönen Schultag und ich war glücklich, meine Familie war glücklich, mein Sohn war glücklich. Und dann kam Dienstag, der zweite Schultag meines Sohnes. Und mein Sohn kommt am Dienstag gegen 13:30 Uhr nach Hause mit einer eingeschlagenen Nase und einer blutigen Lippe, zusammengeschlagen von vier Jungs aus der dritten und vierten Klasse. 

Und weißt du, was sich da wiederholt hat? Die Geschichte, Veit, die Geschichte. Mich hat meine eigene Vergangenheit wieder eingeholt. Und ich wusste, wie ich dann zum Täter wurde und also Mittäter und zum Kriminellen. 

Und natürlich bist du in dem Moment sauer auf die Kids, die das tun. Aber, und das ist mein großes Plus, ich kenne alle Seiten. Nicht nur die, ich war Opfer oder in der Theorie. Ich war natürlich wütend auf die Jungs, aber ich wusste, stopp mal, du hast das auch gemacht und der dir das angetan hat, der hat das auch erlebt. 

Also bin ich nicht mit dem erhobenen Finger auf die Kinder, sondern bin in die Schule und hab gesagt, Herr Direktor, mein Sohn, dem ist gestern etwas passiert, darüber müssen wir reden. Und jetzt kommt die Perversität. 

Er hat mich nicht mal gefragt, Herr Stahl, wer ist denn Ihr Sohn, in welche Klasse geht er? Nein, er hat zu mir gesagt, erstmal müssen wir schauen, was Ihr Sohn getan hat. Veit. Und da hab ich zu ihm gesagt. Wissen Sie, ich weiß nicht, was ich erschreckender und widerlicher finde, dass Sie das sagen oder dass Sie das so speziell und aus der Pistole geschossen sagen, dass Sie das nicht zum ersten Mal machen. 

Das hat System, Veit, Einzelfalltheorie. Ihr Sohn, Ihre Tochter, oh, wir müssen erstmal schauen, ob der auch die Wahrheit sagt. Weil das war der Moment, wo ich den Teppich hochgehoben habe und seitdem kann ich ihn nicht mehr loslassen. Sorry, mir wird speiübel, wenn ich dir sage, was gelogen, eingeschüchtert und vertuscht wird. 

Nimm mal an, damit du weißt, wir sind in Berlin, also das ist die Hauptstadt. Also ich habe da natürlich Druck gemacht und hab gesagt, so läuft das hier nicht, er wusste auch nicht, wer ich bin, hab ihm dann fünf Minuten Zeit gegeben, mich zu hören und hab ihm dann gesagt, was wollen Sie denn gerne, RTL, Sat. 1, RBB, welches Schwein hätte es gerne? Auf einmal war er ganz ruhig und devot, weil sie Angst vor den Medien haben, weil das natürlich Riesenwellen schlägt und dann hat er mir gesagt und dann tat er mir schon wieder leid, wie das Schulsystem von der Spitze, von den Senator:innen oder Ministerebenen, die Schulen im Stich lässt, dass sie um Hilfe rufen, dann hat er mir Aktenwerke gezeigt von Gewaltmeldungen, die nicht bearbeitet werden von den Ämtern und dann hab ich gesagt, aber das geht doch nicht, da muss man doch was ändern. Herr Stahl, bitte tun Sie sich keinen Zwang an, uns hört man nicht zu, im Gegenteil, wer den Mund aufmacht, fliegt raus oder wird zum Schweigen verurteilt. 

Da hab ich gesagt, okay, mach ich. Und dann habe ich Kontakt aufgenommen mit unserer Senatorin, ich weiß es heute noch, Sandra Scheres, Bildungssenatorin, und hab gesagt, was meinem Sohn passiert ist und dass man da was machen muss. 

Naja, im Endeffekt hat sie kaum reagiert, mehr oder weniger hat sie mich nur belächelt und als Spinner abgetan. Sieben Jahre sind vergangen, ich bin der bekannteste Anti-Mobbing-Coach der Welt und ich bin der Tritt in den Arsch der Politiker:innen, die wegsehen. 

Glaubst du, sie lacht immer noch? Niemals unterschätzen sollte man die Kraft eines Menschen, dessen Kind gelitten hat. Man schafft Kräfte in sich hoch. Und heute sind wir eine Organisation, denn ich habe damals gemerkt, was für ein Missstand das ist, und ich habe gemerkt, man schafft es nicht im Alleingang, man muss laut werden, man muss direkt werden, man muss Klartext reden, deutlich sein. 

Dann habe ich zuerst eine Initiative gegründet und habe dann mit anderen Eltern auch anderen Klassen geholfen. Dann haben wir einen Verein gegründet. Und dann habe ich 2018 die bundesweite Kampagne „Stop Mobbing“ oder europaweit „Stop Bullying“ gegründet. 

Und seitdem passiert viel. Ich habe viele politische Unterstützer:innen, viele prominente Unterstützer:innen, Fußballvereine, Radiosender. Es gibt einen Anti-Mobbing-Song. Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Bewusstsein schaffen, Sensibilisierung auf das Thema. 

Und mittlerweile, sprechen wir im Bundestag, Landtag, Abgeordnete, ich bin doch immer noch das gleiche Arschloch von damals, aber mit Reichweite. Veit, wir haben ja darüber gesprochen, dass du hier ungefähr 60.000 Leute Reichweite hast. Richtig? 

Ja, das sind 300.000. 

Okay, super. Ich habe mittlerweile 30.000 oder 40.000 Videos gehabt, die weit über eine Million Reichweite hatten. Und das größte Video hat 6,6 Millionen Reichweite. Und immer wieder, du sagst ja, ich bin kein Sonnenscheintyp. 

Also nicht für die anderen Promis, die sich, guck mal, mein neuer Schlüpper und ihr Essen fotografieren und immer Grinsebacken machen. Bei mir geht es immer um Inhalte, um traurige Inhalte. Und trotzdem, es betrifft Millionen. 

Und mittlerweile bin ich für viele Menschen mit „Stop Mobbing“ ein Hoffnungsträger. Den Menschen Hoffnung zu machen, dass sich was ändert. Und ich habe mit „Stop Mobbing“ schon viel verändert. 

Und dann, und jetzt, wenn du natürlich immer in deinem Groove bist, dann kannst du zwar mal ab und zu auf ein anderes Thema ansprechen. Ist ja auch klar, du sagst mal, da warst du, da warst du. Aber du hast natürlich bis auf deinen, als deine Arbeit fokussiert. 

Und dann kam wie für uns alle diese Pandemie und dieses ganze, dieses ganze ausgebremst werden. Einfach mal auch vielleicht entschleunigt werden. Und was passiert zur gleichen Zeit, dieser ganze beschämende, verachtende Kindesmissbrauch? 

Und es bricht ein Loch auf, aus dem 30.000 Tatverdächtige kommen und die kommen ja nicht im Zehnerpack und mit 8 Gigabyte Bildern hinterher. Und natürlich hätte ich jetzt in meiner Arbeit gesteckt, jeden Tag in Schulen, hätte ich mich gar nicht so auf das Thema konzentrieren können. 

Und dann habe ich ein Video gemacht, das ging darum, weil Frau Lambrecht gesagt hat, ja, der Besitz von Kinderpornografie ist ein Vergehen. Also das heißt, ich breche bei dir, ich breche bei dir in die Laube ein, das ist schlimmer als Kinderpornografie zu haben. 

Und dann haben wir Videos gemacht und bin laut geworden. Und auf einmal haben unheimlich viele Menschen zu mir gesagt, du Carsten, du traust dich, etwas zu sagen, was andere nicht sagen. Ich sage, das mache ich seit Jahren, aber da ging es um Mobbing. 

Und dann habe ich gemerkt, dass es der gleiche feige Mechanismus der Politik ist. Ein Problem, über das wir nicht reden, wird nicht angesprochen. Und dann habe ich gesagt, okay, ich habe mir doch schon eine Schneise geschlagen für ein Tabuthema. 

Dann mache ich Mobbing, mache ich Missbrauch gleich mit. Und jetzt haben wir das Bündnis Kinderschutz gegründet, haben Petitionen gestartet. Ich habe das aufgedeckt mit den Kindersexpuppen oder dem Handbuch für Pädophile, viele habe ich angezeigt. 

Das ziehen wir auch gerade vor Gericht. Wir machen richtig Druck.

Und auf einmal, oh, Herr Stahl hier, Herr Stahl da, nicht nur die Medien, auch die Politik, ich sage, wissen Sie was? Und da bin ich ganz deutlich, Veit. 

Politiker:innen, ob der Bundespräsident, Frau Merkel oder sonst wer, sind Angestellte des Volkes. Die arbeiten für uns, für diese 83 Millionen Menschen. Die werden von uns bezahlt, von uns gewählt und die arbeiten für uns. 

Wir sind nicht deren Sklav:innen. Und wir dienen nicht ihnen, sondern umgekehrt. Und ich und andere, die Einfluss haben, machen denen das mittlerweile klar. Und auf einmal bekomme ich Termine in Ministerien, etc., warum? 

Weil man mit mir kuscheln möchte, mit mir kannst du kuscheln. Aber du wirst mich nicht mit kuscheln dazu kriegen, die Schnauze zu halten. Mache ich mir damit Feindinnen? Ja, alles richtig gemacht. Mache ich mir damit Unterstützer:innen? Ja, weitaus mehr als Feind:innen. 

Veit, ich war 18 Jahre kriminell, die wollten mich umbringen. Glaubst du, ich scheiße auf die Politiker:innen, die mich nicht mögen? Ich will doch nicht wiedergewählt werden, Veit. Es gibt ein Video, eine Botschaft zu einem Politiker, wo ich sage, die interessieren sich für sterbende Kinder einen Dreck. 

Da macht ihr einen riesen Imageaufwand daraus. Ist aber nicht mein Ziel. Mein Ziel ist es, die Politik zum Umdenken und Handeln zu bewegen. Ich habe es drei Jahre mit Bitte probiert. Die haben mir einen Mittelfinger gezeigt. 

Und dann habe ich angefangen, die Medien zu nutzen, Druck zu machen. Ich war in der New York Times, in der BBC, weltweit. Und auf einmal, als ich nicht mehr Bitte gesagt habe, sondern gefordert habe, voilà, sieh an, sie reagieren. 

Politik handelt nur bei zwei Dingen: wenn es ihnen politisch nutzt oder wenn sie Angst davor haben, dass es ihnen politisch schaden könnte. Sie können beides haben. Ich will, dass sich etwas verändert. Und das will doch eigentlich jeder. 

Und bei eigentlich, Veit, muss man darüber reden. Ich bin mir dessen immer wieder bewusst, wenn die dann mit mir diskutieren in Talkshows. Ich höre mir erst mal diese ganzen Aber, Aber, Aber-Laber-Typen an. 

Und dann sage ich, kleinen Moment mal, sage ich denen immer, schaut mal her. Das hier ist das Grundgesetz. Und der oberste Artikel ist Artikel eins. Was jeder gerade macht, ist… Ihr scheißt auf den Artikel. 

Artikel eins, die Würde des Menschen ist unantastbar. Wenn wir uns daran halten, gäbe es kein Mobbing, gäbe es keinen Missbrauch, gäbe es keinen Rassismus. Aber sie reden nicht darüber. Außer es ist Mainstream. 

Naturschutz. Wow! Müssen wir was machen? Natürlich. Rassismus. Da geht nicht. Da müssen wir was machen. Es nutzt ihren politischen Werdegängen, es nutzt ihren politischen Möglichkeiten. Aber wenn du sagst Missbrauch, oh, da schweigt das ganze Land und die Politik steckt den Kopf in den Sand. 

Und jetzt muss da ein Umdenken her. Ich bekomme einen Kotzanfall, dass die verantwortlichen Politiker:innen aber auch viele Teile unserer Gesellschaft bei diesem Thema schweigen. Weißt du? 

Null Toleranz, wenn Kinder leiden. 

Absolut. Kinder, Veit, wir reden hier von kleinen Kindern, die sich nicht wehren können, die keine Stimme haben. Und sie haben keine Lobby, sie können nicht wählen. Also sind sie für die Politik wertlos, dann kosten sie auch noch Geld. 

Und das ist für mich nicht hinnehmbar, nicht tragbar und absolut unverantwortlich. Und wenn ich es wollte, könnte ich in die Politik gehen. Das würde mich ein Schnips kosten. Die Verbindungen habe ich und die wären sehr an meiner Reichweite interessiert. 

Dann wäre ich aber genauso eine Marionette wie die und man würde mich ganz schnell sagen, oh, jetzt macht er das, weil er Politiker ist. Ich mach das von Herzen frei. Du sagst da selber, ich brenne. Und nur eine Fackel kann andere entzünden. 

Ein Streichholz kann das nicht. Man kann mir vieles vorwerfen, dass ich laut bin, direkt bin, eine große Fresse habe. Aber man kann mir eines nicht vorwerfen, dass ich das hier nicht von Herzen tue. 

Sag mal, Carsten, ich kann mir nicht vorstellen, dass es auch nur irgendeinen Menschen gibt, der das jetzt gerade sieht oder hört und nicht sofort sagt, Alter, du hast sowas von Recht. Aber was halt viele Menschen machen, sie schauen nicht hin. 

Sie sind kurz empört, betroffen, sagen, mein Gott, ist das schrecklich, aber dann tun sie nichts. Erstens, weil es wirklich Dreck ist und sich damit zu beschäftigen, wirklich dreckig macht. Zweitens, glaube ich, dass ganz, ganz viele Menschen das Gefühl haben, ich kann ja eh nichts bewirken. 

Kannst du einfach mal ein paar ganz konkrete Erfolge aufzählen von deinen Kampagnen, also dass Menschen sehen, man kann sehr wohl was bewirken? 

Also erstens ist es so, jeder von uns hat eine Stimme und jeder von uns kann was bewirken. 

Und wir haben natürlich, die sozialen Medien haben uns viel Schaden gebracht. Aber sie haben uns auch vernetzt. Das heißt, wenn wir die sozialen Medien, ohne die wäre ich doch gar nicht so erfolgreich, man kann sich doch in den sozialen Medien verbinden und aus einer Stimme viele machen. 

Guck mal, wir haben jetzt die Petition gegen das Verbot der Kindersexpuppen, die man ja freiverkäuflich in Deutschland bekommt, und das Pädophilenhandbuch, die Anleitung für Pädophile, wie man Kinder missbraucht, gemacht. Die Petition haben wir online geschaltet und wir sind innerhalb von fünf Tagen bei fast 55.000 Unterschriften. 

Das ist jede einzelne Stimme. Was haben die denn gemacht? Lediglich bestätigt, immer geschrieben, ein Zeichen gesetzt. Alleine wären das nicht 50.000 gewesen. Es hätte nur mein Name und noch drei andere gestanden. 

Das heißt, jeder von uns kann etwas bewegen. Und jetzt mal immer wieder: Lasst doch mal den prominenten Status bei mir weg. Ich bin auch nur ein Bürger, ein Vater, ein Mensch. Hätte ich vor sieben Jahren nicht den Mund aufgemacht, würde in Deutschland immer noch nicht über Mobbing gesprochen werden. 

Ich habe so vielen Kindern geholfen, Menschenleben gerettet, etwas losgetreten, ich und viele andere. Das kann jeder. Jeder kann doch einem anderen die Hand reichen. Jeder kann doch in einem Bus sagen, wie kann es sein, dass Gewalttaten in einem überfüllten Bus passieren und die Täter:innen damit durchkommen, weil alle wegschauen und nicht gemeinsam aufstehen und sagen, lass das. 

Selbst wenn sie Angst haben, sie rufen noch nicht mal die Polizei. Und das ist es. Und deswegen meine Botschaft an alle da draußen: Ich weiß, es ist unbequem. Ich weiß, es ist ein Tabu und es tut weh. 

Aber wer wegschaut, macht sich mitschuldig. Und das sollten wir nach sechs Millionen toten Juden in Deutschland wissen, was das bedeutet, wenn man wegschaut. Dieses kleine Arschloch konnte nur deshalb an die Macht kommen, weil andere es zugelassen haben. 

Also die Gruppendynamik und die Feigheit aufzustehen und zu sagen, lass das oder nein, wir machen da nicht mit, kann ganz schlimme Dinge anstoßen. Das Schlimmste, was in unserem Land passiert ist, war der Nationalsozialismus und der Tod von so vielen Menschen weltweit. 

Aber hätte man damals den Mund aufgemacht, das nicht akzeptiert, wären die doch nie an die Macht gekommen. Sie haben ja so wenige Leuten passiert. Und das ist genau das katastrophalste und schlimmste Zeichen von Gruppendynamik und von Wegsehen, fehlender Zivilcourage und Angst. 

Und natürlich auch von einem Mob, der sagt, ja, ja, die sind schuld. Die sind schuld. So wie beim Mobbing in der Klasse sagt, ja, ja, naja, gut, der ist ja selber schuld. Wie oft höre ich sogar von Lehrern oder anderen Eltern, naja, der ist ja selber schuld. 

Wie bitte? Der ist selber schuld, naja, er wehrt sich ja nicht. Ja, kann sich vielleicht ja nicht wehren oder will keine Gewalt anwenden. Aber so ticken wir als Gesellschaft. Und das ist es. 

Und ich fordere auf die Gesellschaft und die Politik den gleichen Enthusiasmus, den gleichen Engagement wie für den Naturschutz. Und vor allen Dingen gegen den Antisemitismus und gegen Rassismus. Den gleichen Engagement zum Schutz der Kinder aufzubringen, ist das nicht unsere Pflicht. 

Und da sind wir wieder bei jemandem, bei diesen Menschen, denen wir das vor Generationen, vielleicht nicht wir, aber unsere Vorfahren angetan haben, in Form von Wegsehen. Nimm dir einen Menschen, der damals in dieser Zeit gehängt wurde, der etwas gesagt hat, etwas ganz Wichtiges fand. 

Die Moral einer Gesellschaft zeigt sich in dem, was sie für ihre Kinder tut. Dietrich Bonhoeffer. Den haben die Nazis gehängt. Also, warum? Warum machen wir nichts? Warum schützen wir nicht Artikel 1? 

Wieso stehen wir nicht auf? Wieso verbinden wir uns nicht, vernetzen wir uns nicht und machen den Mund auf und zwingen die Politik zu handeln? Jeder Einzelne kann etwas bewegen. Wer nur ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt. 

Das sind doch keine Phrasen, das ist doch… Aber es betrifft mich nicht. Doch, in Deutschland sitzt in jeder Kita-Klasse. Zwei, es braucht die Kinder im Durchschnitt. In jeder Kita-Klasse. Und in jeder Schule in Deutschland haben 10 bis 15 Prozent der Kinder in der Oberschule Suizidgedanken. 

Jeden Tag wollen sich drei bis fünf Kinder umbringen wegen Mobbing und jeden zweiten Tag gelingt es leider auch einem Kind. Und ich war auf acht Beerdigungen, Veit, auf vielen Mahnwachen. Jetzt erst letzten Samstag, also nicht den jetzt, also vor einer Woche. 

Da war ich bei Tim in Querfurt, der zwei Jahre alt war, der missbraucht und totgeschlagen wurde. Ich war da, Veit. Ich, der Bürgermeister und 400 Menschen. War irgendein Spitzenpolitiker da? Aus dem Bundesland? 

Nein. Da hab ich ja gesagt, wo ist der Innenminister? Wo ist der? Nichts. Kein Arsch in der Hose. Wir machen nichts. Und das ist unverantwortlich. Und da muss was passieren. Und deswegen hab ich „Stop Mobbing“ gegründet, direkt für Mobbing und das Bündnis Kinderschutz, das sich eigentlich für alle Dinge einsetzt, die Kinder gefährden. 

Mobbing, Gewalt, Drogen, Jugendkriminalität und ganz besonders Missbrauch. Weil, wenn ein Kind gemobbt wird, meistens, wenn es in der Grundschule ist, dann kann es ja schon sprechen. Es könnte ja, wenn es die Eltern richtig sensibilisiert haben, zu Mama oder zum Lehrer gehen und sagen, die tun mir weh. 

Aber bei Missbrauch reden wir von Kindern, die ja teilweise noch nicht mal sprechen oder laufen können. Da schweigt unsere Politik und unsere Gesellschaft. Und wie gesagt, jeder, der das Video sieht. 

Nicht jeder davon fühlt sich vielleicht angesprochen, weil er sagt, ich mache was. Aber die Frage ist, was tue ich denn in letzter Instanz? Zwinge ich die Politik auf eine gewisse Art und Weise, sich dem Thema anzunehmen? 

Mach ich wirklich schon alles? Immer wieder bei Mobbing auch Eltern, mein Kind tut nichts, das sie am Volk umrecht, ihr Kind tut nichts. Es schaut billigend und schweigend weg, wenn andere Kinder getreten und geschlagen werden, nur weil es selber nicht zum Opfer werden will. 

Reiners Selbstschutz. Und das ist okay. Ich finde, es ist Zeit, endlich den Mund aufzumachen und endlich zu sehen, dass wir nicht nur schöne Dinge in unserem Land haben, sondern viele Probleme. Und ich bin der Meinung, wir müssen die angehen. 

Und nicht nur die Probleme, die der Politik nutzen und diese immer wieder verwendet werden, sondern es gibt auch die Probleme, die wirklich ganz prinzipiell sind. Jetzt könnte natürlich kommen Menschen und sagen, Carsten, wir haben alte Menschen, die nicht… 

nicht zu essen haben. Auch da habe ich immer mal wieder was zugesagt. Aber man muss sich auf ein Kernthema konzentrieren. Und mein Kernthema ist der Kinderschutz. Man hat mich letztens auch genannt, ich bin die Stimme für Kinderschutz in Deutschland. 

Warum Stimme ist Klarheit? Ich habe eine große Klappe. Ich reiße sie auf. Ich habe vor niemandem Angst. Und warum denn auch, Veit? Ich mache nichts Böses. Ich bin kein Rechter. Ich bin kein Extrem-Linker. 

Ich bin einfach nur ein Mensch, der was verändern will, der frei denken kann und der den Mund aufmacht. Mache ich Fehler? Klar, ich bin ein Mensch. Aber ist es falsch, Kinder retten zu wollen? Nein, kann ich mir nicht vorstellen. 

Du sagst das ja selber, seder normal denkende Mensch, der dieses Video sieht, der kann vielleicht sagen, oh, der Typ hat aber, der ist aber krass, der hat ja eine große Fresse oder, oder wie redet der denn da? 

Darüber können wir reden. Aber über den Kerninhalt des Dialogs kann man nicht diskutieren. Es gibt bei diesem Thema doch eigentlich kein Vielleicht oder Aber. Es gibt nur dafür, Kinder zu schützen oder dagegen, dass Kinder leiden, oder? 

Sehe ich das falsch? 

Also wir werden auf jeden Fall unter diesem Podcast Links setzen von deinen Aktionen. Also meine herzliche Bitte ist wirklich an jede:n Einzelne:n, der:die das jetzt gerade sieht, nicht einfach nur betroffen rauszugehen, sondern zu sagen, okay, ich handle jetzt sofort. 

Und wenn es einfach ist, dass du unter der Petition deine Unterschrift setzt. Also dass dieses Video nicht nur informiert, sondern dass es wirklich bewegt. Carsten, ich habe eine Frage an dein Herz. Ja, du kommst wie ein Riesenbully rüber, aber ich weiß auch, spüre, da drunter ist wirklich ein Riesenherz und ich spüre wirklich eine unglaubliche Zartheit. Ich weiß, dass viele Menschen sich mit diesen zwei Themen, von denen du jetzt gerade gesprochen hast, nicht beschäftigen, weil sie mit der dunklen Energie dieser Themen nicht umgehen wollen und auch wirklich nicht wissen, wie. So, du wühlst bewusst in diesem Dreck, also so, was ist für dich der Ausgleich? Also wie sorgst du dafür, dass du daran nicht zerbrichst, dass du nicht die Hoffnung an die Menschen verlierst? 

Es ist natürlich wirklich, du sagst es ja wirklich, ich wühle in Scheiße. 

Ja, und dann macht man sich natürlich auch schmutzig und manchmal muss man fünfmal duschen, um die wieder abzukriegen. Aber ich sage, das ist ja, jeder hat eine Gabe, und eine Bestimmung, weißt du? Und komischerweise, und das fragen mich immer wieder, wie kommst du, du bist auf acht Beerdigungen, du kriegst mit, wie Kinder begraben werden, du hast die leidenden Eltern da und wie, oder auch manche Psychologen fragen mich, 

Carsten, du hast ja deine eigene Geschichte noch gar nicht richtig verarbeitet, oder? 

Und dann sage ich, das sage ich halt auch allen da draußen, wenn man, ich habe bisher mit 60.000 Schüler:innen gearbeitet. 

Und wenn diese Schüler:innen in meinem Seminar, nach drei Stunden auf mich zukommen, mich teilweise umarmen und sich bei mir bedanken und mir sagen, ich habe ihr Leben verändert. Ich habe 17.000 Dankesbriefe von Eltern und Schüler:innenn. 

Ich habe Videos von Kindern, die sie mir zugeschickt haben und mir sagen, Herr Stahl, Sie haben mit Ihren Worten und Ihren Taten mein Leben gerettet. Ich würde nicht mehr leben, wenn Sie nicht da gewesen wären. 

Das ist der Moment, aus dem ich meine Energie ziehe, meine Kraft ziehe. Bei all den Anfeindungen, bei all den Schwachstellen, die ich auch über mich höre, bei all den Leiden, die ich sehe, weiß ich, wenn ich es nicht tun würde, würde es in der Art und Weise kein zweiter tun. 

Und nimm mal das Bündnis Kinderschutz. Es gibt viele Organisationen, die seit vielen Jahren gegen Missbrauch und Missstände kämpfen. Auch gute, große Organisationen. Und dann sagen mir die meisten, man hört uns nur mit einem Ohr zu. 

Man sagt, ja, ja, machen wir, helfen wir, aber irgendwie kommen wir nicht weiter. Und jetzt kommst du mit dieser Brechstange mit deiner Art und wir sehen, wie die vor dir teilweise den Arsch zusammenkneifen. 

Und da habe ich gesagt, naja, also schaut mal, dann lasst uns doch verbinden und eure Energien und meine Energien und andere Energien zusammentun unter einem Dach als Bündnis Kinderschutz und alle Möglichkeiten und Mittel, Verbindung und Vernetzung nutzen, um dort die Politik zum Umdenken zu bewegen. 

Und wenn das nicht geht, dann über die Brechstange. Und wenn du siehst, was da jetzt gerade passiert, weil Frau Lambrecht sagte, also Kinderpornografie zu besitzen ist ein Vergehen. Dann haben wir Videos gemacht. 

Wir haben uns mit einem anderen Verein zusammengetan, der seit fast fünf Jahren Petitionen gesammelt hat, 450.000 waren das und den man nicht anhören wollte. Dann haben wir den unterstützt. 

Ich habe im Büro angerufen, habe dem Referenten gesagt, wir werden morgen bei euch vor der Tür stehen in der Mohrenstraße und wir machen Druck. Und ich mache alle zwei Minuten ein Video. Und ich werde so viele Dinge sagen, die Frau Lambrecht nicht gefallen. 

Es gibt zwei Möglichkeiten. Wir machen das nonstop oder Frau Lambrecht opfert fünf Minuten ihrer Zeit und empfängt diesen Mann, der seit fast fünf Jahren sein Leben dem Kampf gegen Missbrauch gewidmet hat und empfängt ihn und nimmt die Petition an. 

Ansonsten, keine Angst, ich sage Ihnen, ich mache ein Video nach dem anderen und glauben Sie mir, Frau Lambrecht nimmt einen Riesenschaden. Vielleicht 15 Minuten später hat er den Anruf gekriegt, wurde eingeladen. 

Die Petition Kindersexpuppen richtet sich wieder an Frau Lambrecht und Frau Giffey, die Familienministerin. Und gestern habe ich beide angeschrieben und habe Ihnen den Vor- und den Nachteil ihrer Unterstützung gesagt. 

Der Vorteil, Sie unterstützen uns gleich. Das heißt, Sie sagen natürlich, Kindersexpuppen und das Handbuch für Pädophile geht nicht, das unterstützen wir und wir wollen es abschaffen. Dann sind sie Helden. 

Der Nachteil ist, sie sagen gar nichts und deshalb hab ich sie ja offiziell angeschrieben, damit ich offiziell damit in die Medien gehen kann, dass es sie einen Scheißdreck interessiert. Es geht nur so. 

Ist es nicht traurig? Aber wenn es meine Bestimmung ist, ein Hoffnungsträger zu sein oder

der Stachel im Arsch der Verantwortlichen. So lange Blut durch diese Adern fließt. Werde ich das tun? Weißt du warum, Veit? 

Weil bei mir, als ich zehn Jahre alt war, keiner da war, der mich beschützt hat, der eingegriffen hat, der mir die Hand gereicht hat, der mich aus dieser Grube geholt hat. Es war keiner da, der mir die Suizidgedanken genommen hat. 

Ich musste da raus ganz allein und ich… Auch wenn ich nicht viel vielleicht bewegen kann, aber ich werde da sein für die, die keinen haben. Weil bei mir keiner da war, ein System versagt hat und ich nicht zugucke und dabei mitmache, wie das weitergeht. 

Das ist meine Bestimmung. Und wem das nicht passt, der kann mich am Arsch lecken. Das war deutlich, oder? Amen, Bruder. Das war deutlich. Ich mag deine klare Energie. Carsten, zum Schluss würde ich gern bitten, oder ich fange mal andersrum an. 

Also für mich ist ja heutzutage eine, ich sag jetzt mal, die vergiftete Saat des Mobbings, die Art und Weise, wie wir im Internet kommunizieren. Da geht es ja los, ja. Und ich kenne viele Menschen, die sich gar nicht mehr trauen, wirklich ein Standing zu entwickeln, zum Beispiel für etwas oder gegen etwas einzustehen, weil sie Angst vor Mobbing im Internet haben. 

Hast du für die Menschen, die das jetzt sehen und ich weiß, auf diesem Kanal werden es extrem viele Menschen sehen, die gerade berührt sind und die wirklich verstehen, dass was zu tun ist und die auch verstehen, dass es genau dort beginnt, wo jeder Einzelne von uns lebt, hast du für diese einen Tipp? 

Also wie kriegt man, komm mal, du hast diese Power, ja, wie kriegt man es hin, dass jemand, der vielleicht Angst hat, der zart ist, der Schiss vor Gegenwind hat, woher kriegt man das Standing zu sagen und jetzt an der Stelle sage ich was und jetzt an der Stelle bleibe ich stehen? 

Es ist natürlich immer wieder so, das ist genauso wie mit den Menschen, die in der U-Bahn stehen und aufstehen. Einer muss immer anfangen und dann machen meistens welche mit. Das ist die positive Gruppendynamik, fängt aber keiner an, werden kaum welche mitmachen. 

Und ich kann natürlich nicht den Menschen raten, bringt euch schon in Gefahr, wenn ihr selber nicht der Meinung seid, dass ihr das wollt. Bei Facebook ist es ja noch verhältnismäßig einfach, man kann ja etwas posten und die Kommentarfunktion ausstellen. 

Damit kriegst du keine Bälle. Du hast was Gutes gegeben und die laufen mit ihrem ganzen Mist gegen die Wand. Und du musst ja auch nicht jede E-Mail oder nicht jede Messenger-Frage oder Links öffnen, wenn du die nicht kennst. 

Warum negative Energie empfangen? Ich muss die empfangen. Ich kriege die jeden Tag und weißt du, was ich dann schreibe? Dann sage ich, weißt du was. Wenn ihr euch, meistens sage ich ja das, ich sage jetzt zum Beispiel wieder nach Querfurt, wissen Sie, interessant ist ja eins. 

Als ich war in Querfurt und Sie haben mich da sprechen hören, da hatten Sie nicht den Arsch in der Hose, auf mich zuzukommen und vor den 400 Menschen das zu sagen. Sie hätten auch auf eine Armlänge rankommen können. 

Ich hätte Ihnen schon eine passende Antwort gegeben. Aber jetzt hier im Netz, feige und versteckt, hauen Sie auf Ihre Tastatur rum. Wissen Sie, wir haben in Deutschland viele Tastatur-Facebook-Helden, die nichts bewegen. 

Also ich würde vorschlagen, sie nehmen ihren geistigen Dünnschiss und spülen ihn im Klo runter, bevor sie mir meine Zeit stehlen. Jeder muss damit wissen, wie er damit umgehen kann. Ich kann nur eins sagen, ich glaube, ihr fühlt euch besser, wenn ihr ein Standing gemacht habt, anstatt zu wissen, dass ihr schweigend und billigend dabei zuseht und es akzeptiert, dass die weitermachen wie bisher. 

Nur weil viele Menschen weggesehen haben, konnte Hitler diese Scheiße durchziehen. Weil das Böse kann nur deshalb gewinnen, weil das Gute wegzieht und ihr habt ein gutes Herz. Also traut euch, eurem Herz zu folgen. 

Das tue ich seit sieben Jahren. Ich war mal ein Riesenarschloch und heute versuche ich etwas zu verändern. Für viele bin ich immer noch ein Riesenarschloch, aber ich tue was Gutes. Ja, das ist ein cooles Arschloch, ich meine ein cooles Arschloch. 

Eine letzte Frage, Carsten. Also was mich berührt an den Tönen, die ich raushöre, ist, dass du eben nicht pauschal Täter verurteilst. Also einfach schon allein aufgrund der Erfahrung. Und aus meiner Arbeit weiß ich einfach, das ist nicht die Endlösung. 

Das geht gar nicht. Also wir können nicht, solange wir einfach immer wieder ganz klar sagen, schwarz, weiß, kriminell, das Ding nie gelöst. Es gibt immer eine Grauzone. Exakt. So wie ist dein Umgang, also wenn du jetzt vor Tätern sitzt, also lass uns sagen, du sitzt vor einem Jugendlichen und der hat gerade einen anderen Menschen zusammengetroschen. 

So wie kriegst du diesen inneren Zugang? Also ohne ins Verdammen. 

Also es ist ja so, ich sitze ja praktisch vor einem Täter, aber ich sitze auch vor einem Opfer. Der ist ja nicht als Täter geboren. Denkt immer dran, ich identifiziere mich mit diesen Menschen. 

Das heißt, ich sitze vor diesem Jungen oder es können auch Mädchen sein und schaue diesen Menschen an und ich arbeite mit denen auf Augenhöhe. Ich verurteile einen Täter erstmal nicht. Es kommt natürlich immer darauf an, wir müssen unterscheiden zwischen Kindesmissbrauch und Mobbing. 

Bei Kindesmissbrauch ist es so, dass ich sage, es gibt genug Organisationen, die heißen und machen, ich will nicht zum Täter werden. Also, wenn ein Mensch merkt, der hat dieses Verlangen nach einem Kind und er will nicht zum Täter werden, dann ist das vorbildlich, wenn er sich helfen lässt und diese Menschen sind in meinen Augen Helden, denn sie werden nicht zum Täter. 

Aber wenn jemand seinem Verlangen nach seiner Lust und seiner Begierde nachgeht und er missbraucht ein Kind, dann gibt es keine Toleranz, dann gibt es kein Verzeihen. Verzeihen tun wir nicht, wir müssen, das kann nur Gott, wir können über die Jahre hinweg, wenn er sich hat, helfen lassen, vielleicht, aber das muss eine Instanz entscheiden, sehen, ob er wirklich gelernt hat und wirklich zurück in die Gesellschaft integriert werden kann. 

Aber das ist ein… Also es ist immer wieder ein Kind, was missbraucht wird. Das ist ein Mord an der Seele dieses Kindes, ein Leben lang. Und der Täter soll jetzt schon nach zwei Jahren auf Bewährung wieder rauskommen. 

Das ist für mich keine Verhältnismäßigkeit. Aber wie gesagt, da bin ich auch nicht pauschal und sage alle Pädophilen, wie können die sowas empfinden? Nein, das ist eine Krankheit und wer sich bei der Krankheit helfen lässt, bevor sie ausbricht, ist ein Held. 

Aber wer die Krankheit durchzieht und seinem Trieb folgt, der verwirkt sein Recht auf Freiheit und auch sein Recht auf Menschlichkeit, die man ihm zugesteht. Trotzdem würde ich niemals sagen, und das finde ich immer wieder, wenn die Leute schreiben, die müssen gehängt werden, kastriert werden, sage ich, stopp, stopp, dieses Recht habt auch ihr nicht. 

Wir sind ein Rechtsstaat und wir müssen rechtsstaatlich bestrafen. Und die Strafen müssen konsequent und hart sein. Aber wir können hier nicht zum Henker werden. Wir leben in einer zivilisierten Welt, auch wenn sich manche nicht oft bei Facebook so aufführen. 

Gehen wir aber zurück zum Täter. Ich bin ja auch in Haftanstalten, Veit. Das heißt, ich habe ja nicht nur Täter, die gemobbt haben, sondern Täter, die vielleicht sogar jemanden versucht haben umzubringen oder vielleicht sogar umgebracht haben. 

Und du musst immer wieder bedenken, ich war selber Opfer, Mittäter, Täter und schwerst gewalttätig. Ich habe ja auch zugeschlagen und habe nicht überlegt, dass der vielleicht so unglücklich fallen kann, dass er mit dem Kopf auf der Bordsteinkante aufschlägt und tot ist. 

Das heißt, sie haben einfach diese Grenzen so überschritten oder auf ihn eingetreten, dass sie diese Grenzen noch mehr überzogen haben. Aber ich sage immer zu denen, weißt du, wenn ich dich jetzt hier sehe, mit deiner Wut, mit deinem Hass, mit deiner Verzweiflung, mit deiner Hoffnungslosigkeit, weißt du, was ich sehe? 

Ich sehe mich. Ich sehe mich mit 15, 16 Jahren. Und ich sehe einen Menschen, der an einer Kreuzung steht und der sich entscheiden muss, ob er nach links oder nach rechts abbiegt. Ich kann dir nicht sagen, wohin du abbiegen kannst und sollst. 

Das musst du entscheiden. Ich kann dir nur sagen, wenn du nach rechts oder links fährst, je nachdem, was man dir zuordnen möchte, wo der falsche Weg ist. Ich kann dir sagen, wenn du den falschen Weg nimmst, wo es endet, im Knast oder unter der Erde oder vor dem Grab deiner Liebsten, für die du die Schuld trägst. 

Ich kann dir dabei helfen, den richtigen Weg zu gehen. Ich kann dir zeigen, wo er lang geht, was du tun kannst, aber laufen und gehen musst du den alleine. Und weißt du, was dann passiert, Veit? Sie fühlen sich verstanden, auf Augenhöhe abgeholt und sie öffnen sich. 

Meistens fangen sie an zu weinen und erzählen mir ihr ganzes Leid, wo meistens Missbrauch, Gewalt in der Kindheit war, oft in der Familie. Und dann haben sie den ersten Schritt getan. sich nämlich geöffnet und sie sind nicht mehr diese voller Wut geprägten Kinder. 

Ich weiß, wie sich sowas anfühlt. Ich war so ein Kind voller Wut und Hass. Und das ist etwas, womit ich mich identifizieren kann. Kein Mensch wird als Täter geboren. Wir werden zum Täter gemacht. Es sind die Einflüsse, die uns dahin bringen. 

Und es ist das Versagen der anderen, die nicht eingegriffen haben. Und deshalb ist es wichtig, dass wir den Kindern Hoffnung schenken und Vorbilder sind. Und du musst überlegen, mit welcher Klarheit, mit welcher Strukturierung und mit welchem Herzblut ich dir das hier erzähle. 

Und man mir immer wieder vorwirft, ja, aber der Stahl hat ja nicht studiert. Dann sage ich, wisst ihr, ihr habt auf einer Studienbank gesessen, fünf, sechs, sieben Jahre und habt einem Professor zugehört, der euch in der Theorie etwas erzählt hat. 

Und ich stelle euch jetzt mal eine Frage. Ihr, die den Kindern helfen wollt, die Gewalttäter sind. Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man in die Fresse kriegt? Das weiß ich nicht. Wie fühlt es sich an, wenn man einen Menschen schlägt? 

Das weiß ich nicht. Wie fühlt sich das an, wenn man sich umbringen will? Das weiß ich nicht. Und ihr wollt mir sagen, dass ihr, weil ihr ein Blatt Papier habt, die Experten seid und das machen dürft und ich, der es erlebt hat, durchlebt hat, überlebt hat. 

Ich darf es nicht. Lassen wir noch die Zielgruppe entscheiden. Und ich sage dir, alle Schüler in Deutschland, mindestens 90 Prozent, wenn die sagen dürften, wer ihnen Werte vermitteln soll. Glaubt mir, es ist nicht Professor Doktor, sondern es ist das Arschloch Stahl. 

Ja, also muss ich doch irgendwas richtig machen. Aber stimmt, ich werde ja dann zum Konkurrenten und zur Gefahr. Und wo kommen wir denn dahin, wenn Titel vielleicht nicht wirklich immer das Goldene sind, lasst uns nicht unterscheiden. 

Ich möchte auch keine Herz-OP von irgendwem machen lassen. Aber beim Thema Prävention kommt es auf Lebenserfahrung und Authentizität an. Besonders bei Kindern und Jugendlichen. Und Veit, ich arbeite mittlerweile für große Betriebe, deren Namen ich jetzt nicht nennen darf, für große Betriebe, die Mobbing- und Sexismusprobleme haben und dadurch im Jahr Millionen verlieren durch Burnouts, weil Arbeiter nicht kommen, die bezahlen müssen und noch einen Ersatz. Es ist ein gigantisches Problem. Es kostet einen Haufen Geld und es sterben viele Menschen. Es ist wichtig, dass wir unsere Scheu und unsere Angst beiseitelegen und dass wir handeln. 

Und das habe ich der Politik auch gesagt. Ja, Titel sind wichtig. Aber wir sollten vor allen Dingen schauen, dass wir die richtigen Menschen für die richtigen Positionen haben. Das gilt besonders für die Politiker, denn die meisten von denen haben noch nicht mal gearbeitet und wollen uns was über das Leben erzählen. 

Carsten, dein Schlussplädoyer an die Menschen, die das jetzt gerade sehen oder hören, nutz die Chance. 

Schlussplädoyer. Ich bitte einfach, jeden da draußen auf sein Herz zu hören und vielleicht, wenn er den Moment spürt, wenn der kommt, nicht wegzusehen und zu handeln. 

Auch wenn es vielleicht mal unbequem ist und vielleicht Mut und Courage braucht. Aber glaubt mir, dieses Gefühl, ein Menschenleben gerettet zu haben oder das Richtige getan zu haben, das wird so lange bleiben, aber dieses Schuldgefühl und dieser Scham vor euch selbst, weggesehen zu haben, werdet ihr euch noch in zig Jahren der Zehnten drüber schämen, wenn ihr das habt. Ein Menschenleben zu retten. 

Das ist etwas Unbeschreibliches. Und deswegen bitte ich euch einfach, nicht wegzusehen, mitzumachen, zu unterstützen, ob nur uns oder andere, Hauptsache ihr macht was. Und glaubt mir, gemeinsam erreichen wir mehr und gemeinsam schaffen wir auch Veränderung in unserem Land zum Besseren. 

Da bin ich mir ganz sicher. Auch wenn viele denken, du bist ein Fantast, hey, Fantasten haben diese Welt geschaffen mit ihren Ideen. Davon sind manche missbraucht worden, aber wir können gemeinsam etwas verändern. 

Das ist meine Hoffnung an euch alle. 

Carsten, ich danke dir ganz, ganz doll, dass du dir die Zeit genommen hast und ich freue mich. Ich freue mich in dieser verwirrten Zeit zu einem Krieger, einem mit einem Riesenherzen kennengelernt zu haben. 

Ich danke dir auch, dass du dir dieses Thema annimmst, denn das ist natürlich auch von deiner Seite Mut, weil ich bin ja nur nicht unbedingt der bequemste Talkgast, also nicht jetzt für dich, sondern die Leute sagen, Gott, was hast du denn da für jemanden? 

Also da kommen mit Sicherheit auch ein paar Kommentatoren, wo du denkst, haben die die Message nicht verstanden. Manche nehmen sich ja noch nicht mal die Zeit. Die schauen mich an und sagen, oh, der wirkt aber aggressiv. 

Das Leidenschaft mit Aggressionen verwechselt wird. Oder der ist ja so laut und dann sage ich, ich will mal Kinder sterben, werden missbraucht. Ich verstehe nicht, dass ihr nicht aufschreit. Weißt du? 

Jetzt ohne politisch zuzuordnen. Ja, das ist mir jetzt, Politik ist mir egal. Aber ein Herr Reul hat Fehler gemacht in seiner Politik, in NRW. Dann kam diese Missbrauchskandale. Und das Erste, was er mitgetan hat, ist, sich diese Bilder anzugucken, der Kinderpornografie. 

Und dann hat er gesagt, dass Missbrauch Mord an der Seele eines Kindes ist. Und jeder Politiker und jeder, der das verharmlost, sollte diese Bilder sehen. Ich möchte nicht, dass ihr erst so eine Bilder seht. 

Und jetzt mal ganz kurz, wenn du mir das noch erlaubst. Damit ihr versteht, wie hätte, wenn das System nicht nur die Themen nehmen würde, die nutzen. Wir alle haben mitbekommen, diesen schrecklichen Mord an George Floyd in Amerika. 

Seit Jahrhunderten leiden schwarze Menschen unter Unterdrückung und Rassismus. Und Black Lives Matters ist eine Bewegung geworden für die schwarze Bevölkerung. Und die war wichtig, schon lange wichtig. 

Und jetzt müsst ihr euch aber vorstellen, wäre es dazu gekommen, wenn diese Frau das Video nicht gemacht hätte? Nein, es wäre nicht dazu gekommen. Und jetzt stellt euch mal vor, wenn es nicht sofort von Facebook oder anderen Netzwerken sofort herausgenommen werden würde. 

Stellt euch vor, ihr hättet gesehen, wie der kleine Tim aus Querfurt, der zweijährige Junge, von seinem Vater missbraucht worden wäre und dann zu Tode geprügelt worden wäre. Und das wäre viral weltweit gelaufen. 

Glaubt ihr, wir müssten hier noch darüber diskutieren, ob Kindesmissbrauch bekämpft werden muss? Nein, es wäre ein Aufschrei auf der ganzen Welt gewesen, genau wie für George Floyd und die schwarze Bevölkerung. 

Aber weil sowas natürlich sofort blockiert wird, weil es ein Tabu ist und nicht gezeigt wird, werden weiter Kinder sterben und leiden. Ich wollte euch nur mal so zeigen, zwei vergleichbare Dinge, wo das eine gezeigt wird und das andere nicht. 

Ich will, dass Kinder nicht erst so leiden müssen. Wie kann es sein, dass die Nachbarn von Tim nicht die Polizei gerufen haben? Mir kann doch keiner erzählen, der Junge wurde über zwei Jahre hinweg gequält. 

Da hat keiner was mitbekommen, erzählt mir keinen Scheiß. Keine Beschwerden beim Mieter wegen Lärmbelästigung, keine Beschwerden wegen schreiender Kinder. Und so passiert es jetzt in vielen, vielen deutschen Wohnungen, dass man lieber sagt, oh, ich will keine Unannehmlichkeiten oder hat schon jemand die Polizei gerufen? Lieber einmal mehr die Polizei, als sich schuldig zu fühlen, dass man nicht eingegriffen hat, wenn man dann hört, ein Tim, eine Michaela, ein Thomas, egal wer ist zu Tode gekommen. Ihr müsst mit dieser Schuld leben, ich will das nicht und ihr wollt das auch nicht. 

Ich muss seit über 20 Jahren damit leben, dass mein Kind durch mein Handeln, durch mein Versagen zu Tode gekommen ist. Wisst ihr, was das für ein Schmerz ist? Glaubt mir, das wollt ihr nicht. Und deshalb schaut nicht weg, Veit. 

Vielen, vielen Dank, Carsten. Danke. Das war eine Folge aus dem Podcast „Seelengevögelt– Für die Rebellen und Rebellinnen des Geistes“. Hat dir die Folge gefallen? Wenn ja, freuen wir uns sehr über deine Bewertung. Außerdem kannst du den Podcast abonnieren und bleibst so immer auf dem Laufenden. 

Wir danken dir für dein Zuhören, es ist schön, dass du da bist.

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